Wenn Women of Color einen alten weißen Mann wählen.

Das Ringen um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten wird erwartungsgemäß zu einem identitätspolitischen Spektakel. Einem Schauspiel, das sich rund um die Attribute „alt, weiß und männlich“ (kurz: awm) dreht. Für die einen sind das nämlich jene Eigenschaften, die nötig sind, um sich gegen Donald Trump zu behaupten. Für die anderen sind diese Identitätszuschreibungen das perfekte Rezept, um die eigene sehr diverse Parteibasis zu entfremden.

Die Folge: Entweder werden KandidatInnen damit konfrontiert nicht wählbar zu sein, weil sie eine Art politisches Fossil ( = awm) darstellen oder weil sie als Frauen oder als Angehörige einer Minderheit nicht „massentauglich“ genug seien. Und damit eine sogenannte „Mitte“ nicht ausreichend ansprechen würden. Eine „Mitte“, die gemeinhin als weiß und mittelständisch wahrgenommen wird. Solch eine Denkweise hielten viele nach acht Jahren Barack Obamas für überwunden. Der politischen Aufstieg Donald Trumps und seiner rechtsextremen Trittbrettfahrer belehrt uns jedoch eines Besseren.

Die beiden Bs

Die beiden ältesten der mittlerweile 23 demokratischen KandidatursanwärterInnen, Joe Biden und Bernie Sanders, werden stets mit dieser Problematik konfrontiert. Zentrale Frage: Wie wollen sie die diverse Basis mobilisieren? Doch im Gegensatz zu Joe Biden ist die Bernie Sanders’ Kampagne relativ gut gegen solche Kritik gewappnet: Zwei Drittel der Führungsriege ist mit Frauen besetzt. Das Thema Gleichstellung bzw. Frauenrechte ist eines der Kernanliegen von Sanders’ Wahlkampf. Und dieses Anliegen rückt immer stärker in den Vordergrund – auch hinsichtlich jüngster Entwicklungen in Alabama, wo das strengste Abtreibungsverbot in den USA beschlossen worden ist.

Nichtsdestotrotz wird der progressivste Kandidat Bernie Sanders in der Berichterstattung nach wie vor mit dem awm-Vorwurf konfrontiert. Man gewinnt unmittelbar den Eindruck, dem linken Sanders schade dies weitaus mehr als dem moderaten Joe Biden. Zwar wurden Bidens frühere Verfehlungen (Stichwort Anita Hill-Hearing) und körperliche Grenzüberschreitungen im Umgang mit Frauen sehr wohl auch von liberaler wie konservativer Medienlandschaft aufgegriffen. Wirklich geschadet hat es ihm aus Sicht zahlreicher TV-Pundits und politischen Kolumnisten jedoch nicht. Was der sogenannten Wählbarkeit von Bernie Sanders schadet, steckt ein Biden angeblich leichter weg. Warum eigentlich?

Identitätspolitik scheint immer wieder zu einem politischen Kampfinstrument zu verkommen – beliebig einsetzbar, um GegnerInnen zu schwächen. Man möge mich an dieser Stelle nicht missverstehen. Der politische Kampf um Repräsentation und Gleichberechtigung von Minderheiten und minorisierten Gruppen ist und bleibt ein wichtiges politisches Kernanliegen. Jedoch wird es problematisch, wenn Identitäten selektiv instrumentalisiert werden, wie im Falle Sanders und Biden.

Und noch destruktiver wird Identitätspolitik, wenn sie auf reine Symbolpolitik reduziert wird. Wenn Frauen andere Frauen wählen sollen, eben nur, weil diese Frauen sind. Oder andersrum, wenn Frauen sich vor anderen rechtfertigen müssen, weshalb sie einen männlichen Politiker vorziehen, unabhängig davon, welche Inhalte dieser vertrtitt.

Abgehobene Symbolpolitik

Reine Symbolpolitik ist hohl und kratzt nicht an der ökonomischen Schieflage, die in der Regel sehr oft mit der gesellschaftlichen und politischen Diskriminierung einhergeht. Um beim Beispiel Sanders zu bleiben – Frauen, seien sie Women of Color oder weiß, die sich derzeit für Bernie stark machen, tun dies in der Regel, weil er für eine allgemeine Krankenversicherung, für freien Hochschulzugang, gegen Abtreibungsverbote, gegen den grassierenden Kreditkartenwucher, für eine Reichensteuer etc. eintritt, und zwar viel vehementer als seine männlichen und weiblichen demokratischen KontrahentInnen. Es geht also um politische Forderungen, die auch auf eine Besserung der Lebensumstände von Frauen abzielen – zumindest aus Sicht der jungen und äußerst diversen Kernwählerschaft von Bernie Sanders. (Selbstverständlich gibt es eine Reihe anderer Aspekte, die Sanders’ Wählbarkeit durchaus schaden können – etwa seine Identifizierung mit dem Sozialismus. Letzteres ist für viele Menschen in den USA nach wie vor ein rotes Tuch.)

Alles in allem sind die identitätspolitischen Prognosen und Debatten zu den Vorwahlen der US-Demokraten ermüdend und völlig abgehoben: wer von Menschen erwartet, dass sie ihre politische Präferenz auf eine einzige gemeinsame Identitätszuschreibung abstimmen, um zumindest auf symbolischer Ebene repräsentiert zu werden, der nimmt diese Menschen und ihre vielfältigen Lebensrealitäten einfach nicht ernst.

 

 


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