Framing Ibiza

Die politischen Strategien der ehemaligen türkis-blauen Regierung setzen auf Message Control, Framing und NLP – und das erfolgreich. Langfristig wird diese Politik den Parlamentarismus in den Abgrund treiben.

Eine Operette aus dem Operettenstaat

Im Moment arbeiten die PR-Abteilungen der Parteien bereits an Rahmengeschichten, Frames, die weiterhin die politische Kommunikation des Landes bestimmen werden. Dieser Tage ging es innenpolitisch rund im kleinen Österreich. Vor knapp zwei Wochen erschütterte Ibiza-Gate die österreichische Politik, die türkis-blaue Regierung ist Vergangenheit. Am Montag kam es zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik zur Abberufung der Regierung. Es wird weiter – und wieder – wahlgekämpft.

Seinen Ausgang hat alles mit einer Geschichte genommen, die dem Libretto einer Operette entstammen könnte:

Oligarchennichten, versteckte Kameras, geheime Botschaften in Presseaussendungen (wer zahlt, schafft an), Treffen in schicken Hotels, literweise Vodka-Red Bull, schöne Frauen, abgehalfterte Männer, Waffenproduzenten, Schusswaffen-Schattenspiel, Verdacht auf illegale Parteienfinanzierung, Drogen („psychotrope Substanzen“), derbe Sprüche, Glücksspielmonopole, Geheimdienste, Privatdetektive, …

Dieses Sammelsurium an Stichwörtern reicht nicht nur für ein Drehbuch aus dem Operettenstaat. Es liefert auch erschöpfend viele Reizwörter für einen billigen Polit-Roman aus den USA. 600 Seiten dick, düsteres Cover mit zwielichtigen Personen in Parkgaragen, in schwarzen Anzügen, mit silbernen Koffern, Sonnenbrillen und dunklen Autos der Marke Mercedes Benz.

Was dieser Erzählung fehlt, ist das Framing durch Lichtgestalten und tragische Helden. Und wer könnte das besser als das rechts-konservative Lager Österreichs?

Der tragische Held

Der tragische Held dieser Erzählung tritt in den sozialen Medien auf den Plan:

Es ist H.C. Strache, jener Mann, der auf Ibiza einer vermeintlichen Oligarchin Staatsaufträge zum Überpreis aufschwatzen wollte. (Im Übrigen ist das auch derselbe Mann, dessen Partei im Jahr 2016 mit dem Spruch „unser Geld für uns’re Leut’“ geworben hat). Ha Ce schaffte es, die Gunst seiner Anhängerinnen und Anhänger zu behalten. Seine Erzählung – aus Sicht seiner Getreuen die einzig wahre Erzählung – lautet:

Ja, ich habe mich unangemessen verhalten, aber ich wurde Opfer einer Intrige von Gutmenschen und Journalisten, möglicherweise auch von Geheimdiensten, möglicherweise auch von Tal Silberstein, möglicherweise von der Sozialdemokratie, jedenfalls ganz bösen Menschen, üble Charaktere, die noch nie in ihrem Leben etwas gearbeitet haben und meiner Partei den größtmöglichen Schaden zufügen wollen. Schützenhilfe erhält er von Wolfgang Fellner – ein Medienmacher, den die vermeintliche Oligarchin auf Ibiza nicht kaufen wollte.

Die Rahmenerzählung greift. Der ehemalige Vizekanzler steht als tragischer Held da. Er sei das Opfer einer Verschwörung gegen seine Person, gegen seine Partei, jene Partei, die spätestens seit Jörg Haider zur „Saubermann-Partei“ avancierte. (Dieselbe Saubermann-Partei, die bei nahezu jeder Regierungsbeteiligung zumindest in die Nähe der Staatsanwaltschaft geraten ist.)

Ibiza sei ein Komplott gegen ihn, den Rechtschaffenen, meint Strache. Seine Anhänger sprechen ihm Mut zu. Sie spucken den bitteren Beigeschmack der Ibiza Affäre einfach aus wie ein Südstaaten Sherif seinen Kautabak. Es scheint vielen mittlerweile völlig egal zu sein, dass ein Vizekanzler öffentliche Aufträge verschachert als wären es billige Wasserfilter.

Apropos Wasser: Nicht einmal der Verkauf des österreichischen Wassers (das einheimische, autochthone, das unsrige, weiße Gold!) scheint die Gefolgschaft Straches weiter zu interessieren. So lange man eine Rahmenerzählung spinnt, die bestens mit rassistischen Ressentiments vereinbar ist: „Den Ausländern, den Moslems, den Türken, den Flüchtlingen geben wir eine auf den Deckel!“

Dieser Tage hat bei den EU-Wahlen nicht nur die FPÖ überraschend gut abgeschnitten, sondern auch Strache selbst: Mit über 32.000 Vorzugsstimmen dürfte ihm ein Mandat als EU-Parlamentarier zustehen, seine Familie – die FPÖ – scheint unsicher. Die Ironie ist köstlich, denn damit würde sich Strache an jenem Ort wiederfinden, wo politische Einflussnahme im großen Stil betrieben wird: Brüssel bzw. Straßburg. Keine stonewashed T-Shirts und Marlboro Gold auf Ibiza, sondern Zigarren im Gentlemans Club bei elsässischem Flammkuchen oder belgischen Moules Frites, ganz legal mit Lobbyisten plaudern: „I was the Red Bull guy from Austria.“ Champagner inklusive.

Die Lichtgestalt

Sebastian Kurz. Kaum jemand vermag die postdemokratische Klaviatur so geschickt zu spielen wie er. Das ist wenig überraschend, denn er ist ein Mann, der #tut – so will es die Erzählung. Kaum ein anderer 32-Jähriger verfügt über einen Posten in seinem Lebenslauf, der da lautet:

2017 bis 2019: Bundeskanzler der Republik Österreich, in Klammer: (Fürs Erste.)

Indes im Bundeskanzleramt: Sebastian Kurz und dessen Team sind Medienprofis. Kein Foto darf geschossen werden, das vom Kanzler (unsr’em #Kanzler #Kurz!) oder seinem Team vorab nicht goutiert wird. Unser Kanzler beim Öffnen von Türen, unser Kanzler beim aktiven Zuhören mit einer Tiroler Schützengruppe, unser Kanzler in der Diskussion mit jungen, hippen Start-Up-Gründern.

Selbst ein Fauxpas kann zur Leistung werden. Nationalratssitzung zum Misstrauensvotum am 27. Mai. Unser Kanzler am Smartphone, während seiner Regierung das Misstrauen ausgesprochen wird. Auf Peter Pilz’ Rüge, er möge wenigstens jetzt dem Parlament zuhören, entgegnet unser Kanzler mit einem smarten Lächeln.

Die Rahmenerzählung könnte lauten: Unser Kanzler Kurz sei eben beschäftigt, er korrespondiere mit Brüssel, wo er leider abkömmlich sei, der Europäische Rat brauche ihn aber, denn was täte man ohne ihn, Sebastian Kurz. Daher läutet unablässig sein rotes Telefon und so weiter … Kritik perlt an unserem Kanzler einfach ab, seine Oberfläche ist glatt wie Teflon.

Während diese Zeilen entstehen, hält der nunmehrige Ex-Kanzler eine Rede vor der politischen Akademie der ÖVP. Er beschwört das „Wir“, seine jungen Anhänger skandieren: „Steht auf für Sebastian! Kanzler Kurz, Kanzler Kurz!“ Im Hintergrund wummert Blasmusik. sein Volk steht hinter ihm.

Das Team Sebastian Kurz hat es geschafft, politische Meldungen perfekt zu takten, Auftritte minutiös zu planen, tunlichst darauf zu achten, immer mehr Macht zu horten und Nachrichten geschickt zu kontrollieren. Ob bei so viel PR-Arbeit die Ressourcen für inhaltliche Arbeit fehlen, sei dahingestellt – die Maschine läuft. Unser Kanzler könne eben gut wirtschaften, mag die Antwort eines PR-Kompagnons lauten.

Das Mittel der Zensur ist für diese „Bewegung“ ein Relikt aus alten, „ständestaatlichen“ Zeiten. Message Control benötigt keine autoritäre Kontrolle der Presse. Sie schafft es, den Nachrichten-Flow zu ihren Gunsten zu kanalisieren – Und Medienwirksamkeit ist dabei Trumpf.

So wird aus Egomanie Staatsmännigkeit, aus dem Ich eine Bewegung, aus sozialer Kälte Unternehmergeist und aus Kontrolle wird Sicherheit. Greift dies alles nicht, antworten Kurz, Blümel et al schlichtweg auf jede Frage mit „Schließung der Balkanroute“, „illegaler Zuwanderung“ und „dem politischen Islam“. Das ist der neue Stil: Einfache Signale, kein Inhalt.

Seit Ibiza, seit der Regierungskrise, hat Kurz überdies noch ein Ass im aufgekrempelten Ärmel: Um sich von der FPÖ abzugrenzen, setzt er nunmehr auf ein christlichsoziales „genug ist genug“. Vergessen sind überhöhte Wahlkampfkosten, die Aushöhlung des Sozialstaats sowie unternehmerfreundliche und menschenfeindliche Politik, die der Kanzler entweder initiiert oder gutgeheißen hat.

Der Medienprofi Kurz schaffte es sogar, nach 1,5 Jahren türkis-blauer Koalition bestürzt zu wirken, dass die FPÖ ein Problem mit Rechtsextremismus habe und dass diese – offensichtlich – nicht regierungsfähig sei.

Und jetzt, nach dem Misstrauensantrag, inszeniert sich Kurz als Messias, der durch den Antrag gefallen ist. Ein Lichtbringer, der seinem Land in ganz kaiserlich-katholischer Manier aufopferungsvoll diene, sein Land, das er mit Stabilität und Reformen beseele. Und im September wird derselbe Messias wiederauferstehen – hemdsärmelig, anständig, unternehmerisch und seit neuestem wieder christlichsozial. „Packen wir’s an!“ Insofern lautet der große Gewinner der Causa Ibiza: Sebastian Kurz, die Lichtgestalt.

Wer Message Control derart gekonnt beherrscht, braucht keine Kronen Zeitung zu kaufen. Denn diese kauft einem alles ab. Zur Sicherheit hat man in René Benko einen anständigen Unternehmer gefunden, der nicht nur Kurz’ Politik gutheißt, sondern überdies 49% der Krone besitzt.

Wer Message Control derart gekonnt beherrscht, braucht weder Sachpolitik noch ernstzunehmende Debatten. Braucht er dazu ein Parlament? Nicht sofern er eine Bedrohung hat! Was er braucht, ist ein Spektakel, das zur Dramaturgie einer Operette verwoben wird.

The Show must go on

Das Framing wird weitergehen, die gesellschaftliche Verrohung dadurch auch. Und damit wird das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie langfristig in den Abgrund sinken und schlussendlich zu Recht untergehen.

Angesichts dessen ist die Causa rund um die Ibiza-Affäre nur der Mosaikstein eines Gesamtbildes. Ein plumper Brocken Marmor, der zeigt, dass auch westlich-parlamentarische Systeme anfällig für Korruption, Misswirtschaft und Postenschacher sind.

Ferner macht es auch deutlich, dass Kapitalgruppen, Interessensvertretungen etc. wohl nicht nur in der Freiheitlichen Partei versuchen, ihr Wesen zu treiben.

Und entfernter: Wir leben eben nicht in der besten aller möglichen Welten, mit oder ohne einem Kanzler Kurz.

Alles das wird in den Rahmenerzählungen dieser österreichischen Operette zur Randnotiz.


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