Seit Monaten lässt die österreichische Regierung mit der Forderung aufhorchen, verpflichtende Deutschklassen für „lernschwache“ Kinder einzuführen. Ein (sprach-)pädagogisch absolut widersinniges Unterfangen. Die Idee erinnert an eine identitäre Sprachpolitik, die ins 19. Jahrhundert gehört. Die großen Verlierer sind die Schülerinnen und Schüler. Die großen Gewinner: eine Politik, die auf Ausgrenzung und Feindbilder setzt.
H. C. Strache und Sebastian Kurz sind Medienprofis. Umringt von Fotografen darf ein kleiner Bub, offensichtlich mit Migrationshintergrund, der Regierungsspitze zeigen, was er gerade lernt. Gemeinsam mit Bildungsminister Heinz Faßmann besuchte die Regierung ein „Pilotprojekt“ in einer Wiener Neustädter „Brennpunktschule“, wo separate Deutschklassen erprobt würden. In dieser medienwirksamen Inszenierung zeigen sich alle überzeugt davon, dass Deutschklassen die Lösung aller Probleme bilden. Für die Regierung gilt in dieser Frage: Reines Deutsch ebnet den Weg für gelungene Integration. Und wenn diese nicht stattfindet, sind wieder einmal die Fremden schuld, die sich weigern, „unsere Sprache“ zu lernen.
Sprachlicher Purismus im 21. Jahrhundert
Auf der Homepage von Sebastian Kurz firmiert unter der Überschrift „Einbindung statt Ausgrenzung“: Ein Viertel aller SchülerInnen spricht zuhause kein Deutsch als Umgangssprache. Ein guter Aufhänger eines PR-Profis, Segregation als pädagogischen Mehrwert zu verkaufen. Und ein großer Empörer für viele vielleicht, aber schlichtweg Realität in einer globalisierten Gesellschaft. Das wäre (und ist) gut so.
Die Sprachpolitik der Regierung interessiert das Potenzial mehrsprachiger Kinder jedoch wenig. Sie knüpft stattdessen an den Diskurs sprachlicher Reinheit an, der die Geschichte des Deutschen hunderte Jahre schon beschäftigt. Seit dem 17. Jahrhundert befindet man sich auf der Suche nach so einer „reinen“ Norm – stets in Abgrenzung zu fremden Sprachen, aber auch in Abgrenzung zum Dialekt: „Idiotismen“, wie dialektale Ausdrücke genannt wurden, galten als unrein, dumm und zu vermeiden. Aber auch in Abgrenzung zum Französischen, das damals den Deutsch sprechenden Eliten ein Dorn im Auge war.
So schreibt der Sprachpurist Friedrich Ludwig Jahn im Jahr 1833 über französische Fremdwörter, sie würden „Seelengift einschwärzen, unsere Grundansicht verdüstern, die Lebensverhältnisse verwirren, und durch andersartige sittliche, rechtliche, und staatliche Begriffe das Deutschthum verunstalten, entstellen und schänden.“
Der nationalistisch-chauvinistische Diskurs im deutschen Sprachraum war stets an die Frage der Sprache gebunden und nahm im Laufe der Zeit immer unappetitlichere Züge an. Der Sprache wurde bald ein eigenes Wesen zugeschrieben, zuletzt geknüpft an eine Ideologie von Blut und Boden. 1933 weiß der deutsche Sprachverein über das „Erbübel der Ausländerei“ zu berichten: „die sprache als Schöpfung des Volkes, dem du angehörst, hat ein inneres Gesetz, das in deinem Blute widerklingt. Blut und Boden, Rasse und Seele gelangen zum Ausdruck und werden Gestalt in der Kunst, vor allem auch im Wunderwerk der deutschen Sprache.“
Versatzstücke dieses Diskurses scheinen ins 21. Jahrhundert zu dringen – dieses Mal gepaart mit der profitorientierten Idee, separate Deutschklassen würden mehr Lern-Output bringen, die Kinder fitter für den Arbeitsmarkt machen. Auch das klingt unappetitlich. Tatsächlich jedoch gelingt dieser Debatte vor allem eines: Die Stigmatisierung bestimmter fremder Sprachen samt und sonders ihrer Sprecher.
Mehrsprachigkeit als Defizit
Mehrsprachigkeit wird dabei nicht als Potenzial dargestellt, sondern als Defizit. Lediglich der Fokus hat sich geändert. Nicht mehr das Französische gilt als schädlich, sondern offenbar das Arabische, das Türkische, das Bosnisch-Kroatisch-Serbische oder andere MigrantInnensprachen. Wie kann sich ein Ausländerkind erdreisten, zuhause nicht Deutsch zu sprechen? Das fügt sich gut ins Bild der fremdenfeindlichen PR-Arbeit von Kurz, Strache und Co.
Ebenso passend dazu äußerte sich Minister Faßmann zur Debatte, als er den Versuch unternahm, die Sinnlosigkeit von Segregation im Unterricht zu untermauern. Man dürfe, so Fassmann, die Betroffenen nicht dem „Sprachbad der Mehrheitsgesellschaft aussetzen“. Genau dies braucht es jedoch nach Meinung vieler SprachiwssenschaftlerInnen und PädagogInnen, wenn man möchte, dass Kinder mehrsprachig aufwachsen und alle Sprachen gut beherrschen.
Voraussetzung dafür ist jedoch, dass mit der jeweiligen Fremdsprache respektvoll umgegangen wird und auch, dass Fragen über den Spracherwerb hinaus gestellt werden, etwa nach Rassismus und Klasse: Es kommt nicht von irgendwoher, dass man die Deutschklassendebatte im Lycée Francais wohl eher gelassen sehen dürfte.
Bei einer Trennung von SchülerInnen aus dem Klassenverband, die gleichwohl stigmatisiert werden und ihre (An-)SprechpartnerInnen in der Klasse verlieren, ist das alles freilich nicht der Fall. Kein Wunder also, weshalb sich viele WissenschaftlerInnen gegen den Bildungsminister stellen.
Was es bräuchte, wäre das Gegenteil: integrative Klassen mit mehreren LeherInnen, die bestenfalls zumindest ansatzweise die Sprachen beherrschen, die die Lernenden sprechen. Dabei genügen Floskeln, es geht um Wertschätzung. (Es wird stattdessen debattiert, Team-Teaching abzuschaffen oder Deutsch als Pausensprache einzuführen.)
Außerdem bräuchte es einen wertschätzenden öffentlichen Umgang mit Mehrsprachigkeit, besonders bei den MigrantInnen-Sprachen. Eine anti-rassistsiche Bildungspolitik, keine Deutschklassengesellschaft und eine Debatte darüber, wie sich Fremdsprachigkeit und soziale Ungleichheit bedingen. Die Crux an der Sache: Das alles kostet Geld. Und Geld für Bildung gibt es nicht, gibt es nicht einmal ausreichend für Faßmanns kolportierte Deutschklassen. Die zweite Crux: Damit ließe sich kein unmittelbarer politischer Profit schlagen, keine Pressekonferenzen und keine anderen fremdenfeindlichen Inszenierungen wären möglich. Mehrsprachigkeit bleibt stattdessen – sofern man nicht französischer Diplomatensohn oder Ähnliches ist – ein Defizit.
Dies verwundert umso mehr, wenn man sich die (selbst zugeschriebene) Rolle Österreichs in der Welt vor Augen führt: Sind es nicht „wir“, die eine Rolle als Brückenbauer Richtung Osten und Südosten spielen sollen? Wäre es da nicht angebracht, ja von Vorteil, würden Kinder BKS, Türkisch, Arabisch etc. sprechen? Offenbar nicht. Denn das Brückenbauen bleibt den Diplomatensöhnen und – töchtern vorbehalten.
Die österreichische Regierungspolitik suggeriert stattdessen aber eines: Es braucht astreines Deutsch. Sprache ist jedoch gerade deshalb eine wunderbare Sache, weil sie dynamisch ist, weil sie sich beständig verändert, weil sie von der Interaktion zwischen Menschen lebt. In der Deutschklassengesellschaft aber muss sie für sprachnationalistische Identitätspolitik herhalten.
Damit ist der Diskurs dort, wo er eigentlich hingehört: Beim sprachlichen Purismus des 19. Jahrhunderts.
Bild: TK Privat