Mit der militärischen Niederlage des IS in Irak und Syrien ist noch lange nicht das Ende seiner Ideologie eingeläutet. Die unterschiedlichen Spielarten des Dschihadismus haben schließlich eines gemeinsam: Sie präsentieren sich als eine soziale Bewegung. Sie nur auf Terrorismus zu reduzieren, ist daher völlig verfehlt. Denn während Terror etwa eine militärische Strategie zur Verbreitung von Angst und Schrecken darstellt, zielen soziale Bewegungen auf grundlegende gesellschaftliche Veränderung ab.
Die Zeiten der großen militärischen Expansion, einer dschihadistischen Frontier, mögen zwar vorerst vorbei sein. Doch die verbleibende Anhängerschaft des gefallenen Kalifats wird auch in Zukunft mit gewalttätigen Aktionen auf sich aufmerksam machen. Dank eines sehr gut entwickelten Propagandanetzwerkes ist weiterhin für die Popularisierung ihrer Ideenwelt und Rekrutierung von SympathisantInnen gesorgt.
Die ausgeklügelte Medienstrategie des IS war für seine einstigen Erfolge von großer Bedeutung. Diese ist jung, modern und westlich geprägt – also Eigenschaften, die man in der Regel nicht mit einer rückwärtsgewandten puritanischen Sekte in Verbindung bringt. Das war auch eine wichtige Erneuerung und ein Unterscheidungsmerkmal zur Propaganda, die man bisher von ähnlich-gesinnten Gruppierungen kannte. Man denke nur an Verlesungen von Drohbotschaften durch Al-Qaida in schlechter Ton- und Bildqualität. Damit hätten wohl kaum zigtausende Foreign Fighters aus aller Welt mobilisiert werden können.
Jugendkultur im Web
Während der letzten Jahre ist ein junges salafistisches (manche nennen es auch neosalafistisches) Milieu in europäischen Großstädten entstanden, das sich zunehmend popkultureller Elemente bediente und von der Medienmaschinerie des IS befeuert wurde. Um ein breiteres Publikum anzusprechen, wurden Soziale Medien wie Twitter, Facebook und YouTube zu den wichtigsten Instrumenten. Einerseits konnten darüber die vielfältigen Medienprodukte der Dschihadisten über zahlreiche Accounts in Umlauf gebracht und zu regelrechten Selbstläufern werden. Andererseits wurden auch die Sympathisanten animiert, selbst Propagandamaterial zu produzieren. Eine Art Mitmachkultur wurde gefördert, die in unzähligen Videos, Selfies, Memes oder Gifs Ausdruck fand. Darüber hinaus bedienen sich die IS-Propagandisten popkultureller Elemente und knüpften damit an Lebenswelten und Interessen junger Menschen an. Beispielsweise existiert eine Reihe von Propagandavideos, die von beliebten Computerspielen wie Grand Theft Auto oder Call of Duty inspiriert sind.
Was die Inhalte der IS-Medienprodukte im Allgemeinen betrifft, so lassen sich hier drei große Themenfelder herauskristallisieren: Politik, Religion und Soziales. Die Narrative selbst haben dabei oft unterschiedliche Intentionen, z.B. die Anhängerschaft zu einen, die Kämpfer moralisch zu unterstützen, die Gegner abzuschrecken oder eine breite Öffentlichkeit „informieren“ etc. Das inhaltliche Repertoire ist groß – angefangen von Kampfszenen, Hinrichtung von Geiseln bis hin zu Essensverteilungen und Alltagsaufnahmen.
Propaganda als Selbstläufer
Das Vorgehen in Sozialen Medien wurde in der Studie „The ISIS Twitter Census“ von Berger & Morgen akribisch nachskizziert. Zwischen September und Dezember 2014, also wenige Monate nach dem großen Höhepunkt der militärischen Expansion und der Ausrufung des Kalifats am 29.Juni 2014, existierten etwa 46.000 (manche schätzen bis max. 90.000) Twitter-Accounts, die den IS unterstützten. Nicht alle waren aktiv, mindestens tausend wurden in diesem Zeitraum bereits von Twitter gelöscht. Ein Grund dafür waren die gewalttätigen und gewaltverherrlichenden Inhalte dieser Seiten. Dies ist mit ein Motiv, weshalb viele der Medienprodukte des IS immer weniger gewalttätiges Bildmaterial zeigten. (Ein weiterer Weg die Zensur zu umgehen ist das Verändern von Hashtags, die bereits „geflaggt“ wurden.)
Die Auswertung dieser unzähligen Twitter-Seiten ließ auch darauf schließen, dass etwa 20 Prozent der Unterstützer Englisch als Sprache bevorzugten, während etwa 75 Prozent der IS-Sympathisanten auf Twitter Arabisch wählten. Ein interessanter Nebenaspekt: Der Großteil jener Unterstützer, etwa 69 Prozent, die ihre Tweets per Smartphone verbreiteten, verwendeten Android, 30 Prozent nutzten Apple und nur ein Prozent BlackBerry. Obwohl Mitte Dezember 2014 iPhones im IS-Territorium verboten wurde, blieb die Zahl der Nutzer mehr oder minder konstant.
Die Stärke der IS-Online-Kampagne war auf das Engagement einer kleinen Gruppe besonders aktiver User zurückzuführen, geschätzt wurden mindestens 500 und maximal 2.000 Accounts, die mehr als fünfzig Tweets pro Tag verschickten. Nur weniger als vier Prozent der IS-Unterstützer auf Twitter hatten mehr als 5.000 Follower. Das ist verhältnismäßig wenig. Im Vergleich dazu hat allein der österreichische Journalist Armin Wolf auf Twitter 389.000 Follower. Dennoch waren diese Twitter-Seiten mit ihrer nicht so auffällig hohen Anzahl an Follower besonders erfolgreich. Ein Grund dafür liegt auf der Hand: Die Online-Strategie des IS ist effektiv, weil sie von der Gruppe, die sie ansprechen möchte, selbst auch verbreitet wird. Sie wuchs organisch aus und mit dem eigenen Zielpublikum. Diese Leute verstehen einander. Sie kennen die Interessen, den Frust oder die Orientierungslosigkeit vieler junger Menschen, weil sie selbst häufig dieser Gruppe angehören. Sie teilen eine Faszination für Gewalt und verstehen es jene Bilder ästhetisierter Gewalt einzusetzen, die viele bereits aus Hollywood Filmen oder Computerspielen kennen.
Verschränkung von straffer Organisation und Basisaktivismus
Die erlebnisorientierte Mitmachkultur, die in der dschihadistischen Propaganda häufig transportiert wird, darf jedoch nicht über die straffe Organisationsstruktur des IS-„Medienunternehmens“ hinwegtäuschen.
An deren Spitze stand bisher ein der Führungsebene direkt unterstellter Medienrat. Dieser kontrolliert seinerseits das al-Bayan Medienbüro, den Newsletter al-Naba, einen für Religionsbelange (Religionseifer) zuständigen Verlag und das Hauptmedienhaus. Letzteres ist für zwei Stiftungen, das al-Ajnad Medienbüro und das berühmt berüchtigte al-Hayat Medienzentrum zuständig. Über al-Hayat werden die bekannten IS-Onlinemagazine Dabiq oder Rumiyah herausgegeben. Besonders die englischsprachige Zeitschrift Dabiq, deren Ausgaben durchschnittlich 40 bis 60 Seiten umfassen, sticht hervor, da einzelne Ausgaben immer wieder auch in andren Sprachen wie Französisch, Deutsch oder Russisch übersetzt wurden.
Dem Medienrat des Kalifats waren weiters noch unzählige lokale Medienableger unterstellt, von denen viele im Zuge der großen Gefechte in Irak und Syrien nicht mehr existieren. Sie waren es aber, die einen Großteil des Propagandamaterials aus dem Herrschaftsgebiet des IS und von den Kämpfen lieferten. Dabei handelte es sich um Aufnahmen, die es teilweise über Soziale Medien aber auch über konventionellen Presseagenturen in unsere Abendnachrichten schafften.
Netzutopismus weicht dem Pessimismus
Eine der wesentlichen Lehren der letzten Jahre ist, die Offenbarung des destruktiven Potenzials von Sozialen Medien. Der IS hat es wie keine andere Gruppierung verstanden, das Netz als Verbreitungsinstrument seines totalitären menschenverachtenden Gedankenguts zu nutzen. Während zu Zeiten der Grünen Revolte im Iran von 2009 oder des Arabische Frühlings ab 2010/11 Soziale Medien als progressive Errungenschaft im Dienste der Demokratisierung und des Kampfes gegen autoritärer Herrschaft gefeiert wurde, stehen nun die von ihnen ausgehenden Gefahren im Vordergrund – sei es der Schutz der Privatsphäre, Cybermobbing oder die Verbreitung demokratiefeindlicher Propaganda. Im Dienste der Prävention und politischer Bildung ist eine Auseinandersetzung mit der Medienstrategie des Islamischen Staats nach wie vor unumgänglich.
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