Die Ćevapčići-Chroniken, Teil 7
„Ich habe alle möglichen persönlichen Ambitionen erfüllt. Ich habe alle politischen Ziele erreicht, ich habe alle möglichen Wahlen, auf parlamentarischer Ebene, als Premier, als Präsident gewonnen, und das auf beeindruckende Weise.“
So selbstbewusst sprach Aleksandar Vučić, Serbiens neuer Präsident, nach seiner Angelobung am Mittwoch. Der Jurist hatte bereits bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl im April die absolute Mehrheit mit 56 Prozent errungen. Die Wahlbeteiligung lag bei 54.36 Prozent. Bei gut einem Dutzend Kandidaten ist das tatsächlich beeindruckend, aber auch ein mehr als fragwürdiges Ergebnis. Wie in den Jahren zuvor gingen auch heuer Betrugsvorwürfe aus dem ganzen Land ein. Konkret seien WählerInnen bestochen und genötigt worden, teilweise sollen (mal wieder) Tote in Wahlregistern aufgetaucht sein. Nicht zuletzt seien von SNS-FunktionärInnen ausgefüllte Blanko-Stimmzettel in die Urnen gelangt. Dennoch wurden nur in acht Gemeinden die Stimmen neu ausgezählt. Am Endergebnis ändert das freilich nichts. Unterstützer des zweitplatzierten unabhängigen Kandidaten Saša Janković kommentierten das so: „Das war Diebstahl.“ Und: „Solche Unregelmäßigkeiten gab es nicht einmal in den 90ern.“
Die SNS hat einen steilen Aufstieg hinter sich: 2008 trennte sich eine sich proeuropäisch* gebende Fraktion von der ultrarechten Serbischen Radikalen Partei (SRS) ab. Die SRS war zu Beginn des Jugoslawienkriegs gegründet worden und organisierte brutale Freischärler, die für Großserbien kämpften. Viele von ihnen wurden aus dem Umfeld der Hooligans von Roter Stern Belgrad rekrutiert. Unter ihnen war auch Aleksandar Vučić. Dem damaligen SRS-Mitbegründer und Noch-Führer Vojislav Šešelj stand Vučićs Amtsvorgänger zur Seite: Tomislav Nikolić. Beide hatten unter dem Milošević-Regime hohe Ämter inne. Nikolić war im Kosovokrieg stellvertretender Premier Serbiens, dann stellvertretender Premier Jugoslawiens. Sein Zögling fiel immer wieder durch chauvinistische Brandreden auf und war 1998-2000 Informationsminister. Als solcher wird Vučić indirekt für den Mord an einem Boulevard-Journalisten verantwortlich gemacht, dem er mal Vergeltung „für seine Lügen“ androhte.
Die SNS gewann ab 2008 unter Nikolićs Führung Wahl um Wahl. Zuletzt wurde sie stärkster Klub in der Skupština, der Nationalversammlung. Die SNS stellt die dominante Kraft in der Regierung. Von 2014 bis Ende Mai war Vučić auch Premier. Diesen Posten hat nun sein roter Stellvertreter Ivica Dačić interimistisch inne. Einer, der ebenfalls seit den 1990ern in Serbiens Politik mitmischt.
Die SNS hat aber schon seit 2012 (dem Wahlsieg Nikolićs) kontinuierlich ihren Einfluss im Staatsapparat ausgebaut. Unter ihrer Führung vertiefte Serbien seine historische Bande zu Russland, setzte aber auch den Weg Richtung EU fort. Noch vor 2008 hatten Vučić und Nikolić als stellvertretende SRS-Führer** für den sicheren Verbleib des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladić in Serbien kampagnisiert. Später distanzierte man sich von solchen unappetitlichen Positionen. Vučić gab sich geläutert, wie in diesem FAZ-Interview von 2014.
Er sei voll Liebe für das Volk, und über alles liebe er Serbien, sagte Vučić am Mittwoch zu AnhängerInnen. Solche blumigen Parolen hat der neue Präsident schon in den Jahren zuvor immer wieder öffentlich bespielt. Die meisten klassischen Medien sind seit jeher opportunistisch und regierungstreu, allen voran die öffentlich-rechtliche Anstalt Radio-Televizija Srbije (RTS). Vučić dominiert die Nachrichtensendungen und auch zahlreiche Titelblätter.
Echte Zensur existiert heute nirgends am Balkan, aber wie überall in der Region hat die Regierung zahlreiche Mittel gefunden, um Medien und JournalistInnen unter Druck zu setzen. Andrej Ivanji berichtete 2016 in der taz, dass serbische Oppositions-Websites unter Beschuss stehen und BloggerInnen immer wieder ins Gefängnis kommen. Als besonders wirksam eignen sich auch Selbstzensur und ökonomischer Druck durch hörige Medienkonzerne.
Dennoch gilt Vučić bei der EU als Proeuropäer, als netter Nationalist. Sebastian Kurz und Angela Merkel würdigten sein Engagement in der Flüchtlingsfrage 2015. Die Situation ist nicht mehr so katastrophal wie damals, aber im Frühjahr waren noch 15 Prozent (1.187 Personen) der Geflüchteten in Serbien obdachlos. Und trotz stagnierender Wirtschaft, eines desolaten Gesundheitssystems und angespannter Minderheitenrechte, einer lauten rechtsextremen Szene und des Einflusses der orthodoxen Kirche gilt das Land als reformfreudiger Stabilitätsfaktor. In der Tat ist die Religion auch hier so stark, dass Vučić seinen Amtseid sowohl auf der Verfassung als auch auf dem Miroslav-Evangeliar ablegte. Die mittelalterliche Handschrift in kirchenslawischer Sprache enthält vier Evangelien des Neuen Testaments.
Umso ironischer klang es, als Vučić im Anschluss an seinen Angelobung seine Landsleute aufforderte, in Serbien „nicht mehr das Land Ihrer Großväter, sondern Ihrer Kinder“ zu sehen.
* Ein Freundschaftsvertrag mit der FPÖ von 2011 liefert Infos zum Europa-Verständnis der SNS. Beide Parteien setzen sich für ein Europa der Vaterländer bzw. Nationen ein. Europa ist dabei eine (christliche) Schicksals- und Wertegemeinschaft, die v.a. gegen den Islam verteidigt werden muss.
** 2003-2016 war SRS-Chef Vojislav Šešelj in Scheveningen, NL in Haft. Er verantwortete sich vor dem umstrittenen Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das Ehemalige Jugoslawien. Šešelj wurde aufgrund seines Gesundheitszustands 2016 auf freien Fuß gesetzt.