Dayton: Die Balkanisierung Bosniens

Die Ćevapčići-Chroniken, Teil 6

Vor einer Woche war Valentin Inzko, ein Kärntner Slowene und UNO-Statthalter in Sarajevo, bei den Vereinten Nationen zu Gast. Dort präsentierte er seinen 17. Bericht als Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina.

Inzko geht auf die Entwicklungen in Bosnien zwischen Herbst 2016 und April 2017 ein. Gegenwärtig herrsche etwa 25.4 Prozent Arbeitslosigkeit und 54.3 Prozent Jugendarbeitslosigkeit im Balkanstaat. Internationale Organisationen sehen laut Inzko immer noch hohe Herausforderungen für die wirtschaftliche Entwicklung. Außerdem sei das Land regionales Schlusslicht in Sachen Braindrain und kämpfe mit Korruption und einer angespannten wirtschaftlichen Situation.

Innenpolitisch ist das Land von nationalistischen Bestrebungen der kroatischen und serbischen Führung geprägt. Es scheint, dass allein Linke, BosniakInnen und die bosniakisch dominierte Sozialdemokratische Partei am Gesamtstaat festhalten wollen. Die kroatisch-konservative HDZ BiH denkt laut über die Restrukturierung der Teilrepubliken Bosniens nach. Dahinter steht der Wunsch, keine Kompromisse mit den BosniakInnen treffen zu müssen, mit denen man sich die Föderation Bosnien und Herzegowina teilt.

In der Republika Srpska übergeht der lokale, chauvinistische Präsident Milorad Dodik sowohl Entscheidungen der Zentralverwaltung als auch die Opposition in der Serbischen Republik. Dodiks Langzeitziel ist die Sezession des Teilstaats und dessen Eingliederung in das serbische Mutterland, die Republik Serbien. Das handelte Dodik die Einfrierung seiner Konten durch das US-Finanzministerium ein. Konkreter Anlass war der vom Bosnischen Verfassungsgericht als widerrechtlich eingestufte „Nationalfeiertag der Serbischen Republik“. Dieser wurde am 9. Jänner auch von bosnisch-serbischen Bundessoldaten und -politikern in Banja Luka gefeiert.

Bakir Izetbegović schließlich, bosniakischer Präsident* Bosnien-Herzegowinas und Sohn des Islamo-Fundamentalisten Alija Izetbegović (1925-2003), der die Sezession Bosniens vorantrieb, sprach sich kürzlich gegen eine alte IGH-Entscheidung aus. Den Haag hatte 2007 (!) entschieden, dass Serbien nicht direkt verantwortlich für das Massaker von Srebrenica war, wohl aber gegen die Genfer Konvention verstoßen hatte, als es dieses nicht verhinderte.

Dennoch hält Valentin Inzko in seinem Bericht sowohl an seinem Posten als auch an der EUFOR-Mission in Bosnien fest. Viele der heutigen Probleme wurzeln in seinem Mandat. Es ist nicht so, dass der Kärntner Slowene die Volksgruppen gegeneinander aufhetzt. Allerdings gründet sowohl das Büro Inzkos als auch die staatliche Struktur Bosniens im Vertrag von Dayton.

Das Allgemeine Rahmenabkommen für Frieden in Bosnien und Herzegowina wurde vor allem von den USA vermittelt und zwischen dem Nationalisten Franjo Tuđman, dem Querfrontler Slobodan Milošević und dem Fundi Izetbegović im Dezember 1995 unterzeichnet. Es beendete den grausamen Bosnienkrieg dort, wo er de facto stand: Entlang ethnischer Fronten. Damit wurde kein wirklich tragfähiger Frieden geschaffen, sondern allein die Waffengewalt eingestellt. Den Krieg von damals tragen politische Parteien verbal weiter, die völkisch dominiert sind. Ministerien müssen laut der bosnischen Verfassung (die auf Dayton beruht) ethnisch-paritätisch besetzt sein. So ist etwa der aktuelle Außenminister Igor Crnadak bosnischer Serbe, während sein Vize Josip Brkić bosnischer Kroate ist. Jede Entität hat ihren eigenen Verfassungsgerichtshof und eigene Ministerien, die jenen in Sarajevo aber unterstellt sind.

Zu allem Überfluss kann Inzko als Hoher Repräsentant Beschlüsse des Parlaments aussetzen und hat andere weitreichende Befugnisse. Ihm zur Seite steht der Peace Implementation Council, zusammengesetzt aus Botschaften und internationalen Organisationen. Er wacht über die Einhaltung und Umsetzung des Vertrags von Dayton. Diese ist, wie sich an den aktuellen Entwicklungen zeigt, durch die dominanten politischen Parteien seit Jahren gelähmt. Bleibt der Vertrag weiter Grundlage des staatlichen Handelns, bleibt auch Bosnien ein Protektorat der EU und UN. Damit wird die Balkanisierung, wird der erzwungene Verfall Bosniens voranschreiten.

Dass jene Mudjahedeen, die seit dem Bosnienkrieg ganze Dörfer und Täler unter ihrer Kontrolle haben, ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko darstellen, muss nicht weiter erläutert werden. Derzeit rekrutieren sie für den IS. Interessanterweise ist das nur ein Randthema in Inzkos Bericht.

Die Bevölkerung zeigt, dass es anders geht. Während auf dem ganzen Balkan schon seit Kriegsende vereinzelt wilde Streiks und Studidemos stattfinden, brachen im Feber 2014 Sozialproteste aus, die ganz Bosnien erfassten. Auf basisdemokratischen „Plena“ diskutierten Veteranen mit SchülerInnen und Arbeitslosen wie ArbeiterInnen über die drängenden Probleme im Land. Auslöser war die geplante Privatisierung mehrerer Fabriken in Tuzla, darunter des Waschmittelherstellers Dita. Die zwei größten Erfolge der Proteste waren die Übernahme der Dita durch ihre Belegschaft und der multiethnische Charakter der Proteste. Sie forderten die Streichung des Daytoner Abkommens, damit eine neue Verfassung, soziale Gerechtigkeit und tatsächliche Unabhängigkeit.

Leider hatten die Proteste keinen nachhaltigen Effekt. Was als Jahr der Revolte geplant war, ertrank in der Jahrhundertflut am Balkan im selben Sommer. Wer dachte, er kämpfe gegen die ganz persönliche Misere, musste jetzt das nackte Überleben sichern. Zehntausende wurden obdachlos.

So können die internationalen Organisationen und die Chauvi-Parteien dort weitermachen, wo sie zuvor waren: Bei der Zersetzung Bosniens.

*Das Staatspräsidium ist kollegial verfasst. Jede der drei großen bosnischen Ethnien entsendet einen Vertreter.

Foto: Juniki San – Tuzla Riots. Quelle: wikipedia (CC BY-SA 3.0).

Das Bild zeigt ein bei Sozialprotesten im Feber 2014 abgefackeltes Regierungsgebäude in Tuzla.


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